kleine Anfrage

Wildnisflächen in Rheinland-Pfalz

Flächen, die ihrer natürlichen Entwicklung überlassen und von der wirtschaftlichen Nutzung ausgeschlossen sind, stellen einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz dar. Als Rückzugsort für seltene und bedrohte Arten leisten diese einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Natur und Erhalt der Biodiversität. Im Rahmen der Nationalen Biodiversitätsstrategie hat sich Deutschland das Ziel gesetzt zwei Prozent der Landfläche und fünf Prozent der Waldfläche als Wildnisflächen auszuweisen. In Rheinland-Pfalz sind bereits ca. zehn Prozent der landeseigenen Wälder als Schutzflächen ausgewiesen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

  1. Wie wirken sich Wildnisflächen auf den Erhalt und Fortentwicklung der Artenvielfalt in Rheinland-Pfalz aus?

    Antwort: Auswirkung der Wildnisflächen auf Erhalt der Fortentwicklung der Artenvielfalt. In einem Wald, der neben der Naturschutzfunktion und der Erholungsfunktion die Produktion des Rohstoffes Holz als Ökosystemleistung erfüllen soll, werden Bäume vor ihrem hohen Alter entnommen, um gute Holzqualitäten zu gewährleisten. Erst in ihrer Alters- und Zerfallsphase verfügen Bäume in höherem Maße über Lebensraumrequisiten wie Totäste, Rindentaschen oder Mulmhöhlen. So genannte Biötopbaumgruppen sorgen innerhalb des bewirtschafteten Waldes für eine Grundausstattung dieser wichtigen Waldelemente. 
    Auf Wildnisflächen, also Wälder, in denen keine Pflanz- oder Erntemaßnahmen stattfinden, können diese Lebensraumeigenschaften in hohem Maß entstehen. Daran adaptierte Arten finden hier einen Rückzugsort, um stabile Populationen zu entwickeln ·und dann als „Ausbreitungspool“ zu fungieren. Das Ziel, ausreichende Anteile der Waldfläche ausschließlich der natürlichen Waldentwicklung zu widmen, ist ein sehr wichtiger Baustein. Da es Arten gibt, die auch von einer Bewirtschaftung des Waldes profitieren, stellen Wildnisflächen im Verbund mit nachhaltig und naturnah. bewirtschafteten Flächen einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität dar.


  2. Welche (unterschiedlichen) Kriterien gibt es zur Einstufung als Wildnisflächen?

    Antwort: Es gibt verschiedene Definitionen für den Begriff „Wildnis“. Die Wildnisinitiative des Bundes definiert Wildnisgebiete als zusammenhängende Flächen mit einer Mindestgröße von 1000 ha bzw. 500 ha in speziellen Lebensräumen wie bspw. Auen. Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) formuliert das Ziel, dass die Natur sich bis 2020 auf mindestens zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln kann. Beispielsweise in Bergbaufolgelandschaft, auf ehemaligen Truppenübungsplätzen, an Fließgewässern, an den Meeresküsten in Mooren und im Hochgebirge. Für Wälder wird der Begriff „natürliche Waldentwicklung“ verwendet. Hier sind die Ziele, dass 2020 der Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung fünf Prozent beträgt und dass die natürliche Entwicklung sich natürliche Entwicklung auf zehn Prozent der Waldfläche auf ausstreckt. Als Sicherungsmaßnahme für mindestens 0,3 ha große Flächen mit natürlicher Waldentwicklung gelten hoheitliche Unterschutzstellung, vertragliche oder dringliche Sicherung der dauerhaften natürlichen Waldentwicklung. Das wurde im Rahmen eines gemeinsamen Projekts von BfN und NWFVA entwickelt. In der Biodiversitätsstrategie für RLP von 2015 lautet das Ziel, bis 2020 zehn Prozent in der Staatswaldfläche der natürlichen Entwicklung zu überlassen. Hier wird die bundesweite Konvention für die Mindestgröße von 0,3 ha und den o.g. Sicherungsmaßnahmen angewandt. 


  3. Welche Flächen werden in Rheinland-Pfalz aktuell nach den oben genannten Kriterien als Wildnisfläche (z. B. Kernzone des Nationalparks Hunsrück-Hochwald) eingestuft?

    Antwort: Die Beantwortung bezieht sich auf die o.g. in RLP geltenden Kriterien. Danach werden als Wildnisflächen eingestuft: die Kernzone des Nationalparks, die Kernzonen des Biosphärenreservates, die Prozessschutzflächen der rezenten Rheinauen, die Naturwaldfläche im Naturschutzgroßprojekt Bienwald sowie Naturwaldreservate und Waldrefugien nach dem „Konzept zum Umgang mit Biotopbäumen, Altbäumen und Totholz“ (2011) in einer Größe über 0,3 ha.

  4. Welche „faktischen“ Wildnisflächen (bislang ohne ausgewiesenen Schutzstatus aber faktisch seit Jahrzehnten ungenutzte Waldflächen) existieren nach Schätzungen der Landesregierung aktuell?

    Antwort: Nicht jede Waldfläche, die als „Wirtschaftswald“ als Gegensatz zu „Wildnisfläche“ angesprochen wird, wird auch tatsächlich bewirtschaftet. So sind beispielsweise die Wälder zahlreicher Steillagen über 35% Prozent Hangneigung derzeit de facto bewirtschaftet, weil eine kosteneffiziente Holzbringung unter diesen erschwerten Bedingungen nicht möglich ist oder man aufgrund des Erosionsschutzes von einer Bewirtschaftung absehen muss. Dies ist insbesondere an vielen Hängen der Mosel, des Rheins und deren Nebenbächen der Fall. Die Vielzahl der Steilhänge stellen eine rheinland-pfälzische Besonderheit im Bundesvergleich dar. Einen Großteil dieser Hänge könnte man auch als „faktische Wildnisflächen“ bezeichnen. Diese überwiegend in Kommunal- und Privatwald liegenden Wälder finden aber keine Anerkennung, da ohne einen entsprechenden Schutzstatus Unwägbarkeiten im künftigen Umgang mit diesen Flächen bestehen. 


  5. Welchen Anteil der Waldflächen in Rheinland-Pfalz entsprechen, nach Schätzungen der Landesregierung, den „definierten“ sowie den „faktischen“ Wildnisflächen?

    Antwort: Die nach der Biodiversitätsstrategie von RLP definierte Wildnisfläche beträgt 9.17% der Staatswaldfläche und 2,32% der Gesamtwaldfläche. Der Anteil der „faktischen“ Waldflächen beläuft sich Schätzungen nach auf ca. 18%. Hier gibt es vielleicht aber auch geringe Überlagerungen mit den „definierten“ Waldflächen. 


  6. Mit welchen Maßnahmen will die Landesregierung den Anteil der ausgewiesenen Wildnisflächen, als Beitrag zur Nationalen Biodiversitätsstrategie, erhöhen?

    Antwort: Im Ergebnis der Evaluation des Biosphärenreservates Pfälzerwald erwartet die UNESCO eine gewisse Ausweitung der Kernzonen. Hierzu soll die abschließende Stellungnahme des internationalen Sekretariats abgewartet und entsprechend ausgewertet werden. Die Absicht der Landesregierung, auch im Wald ein hohes Maß an Windenergieanlagen errichten zu lassen, wird voraussichtlich zu einer hohen Nachfrage an Ausgleichsmaßnahmen oder Ersatzmaßahmen im Wald führen. Waldrefugien nach dem Konzept zum Umgang mit Biotopbäumen, Altbäumen und Totholz (BAT-Konzept) können grundsätzlich als Kompensationsmaßnahmen oder Ökokonten im Staatswald, Kommunalwald und Privatwald anerkannt werden. Dabei sind auch verstärkt naturraumbezogene Flächenpools denkbar. Derzeit werden im Zuge der mittelfristigen Betriebsplanungen im Staatswald vermehrt Waldrefugien nach dem BAT-Konzept ausgewiesen. Für Kommunal- und Privatband sollten für die Ablösung der Nutzungsrechte Fondlösungen zum Einsatz kommen. Zudem beabsichtigt die Landesregierung, im Rahmen von Pilotprojekten interessierte Privatwaldbesitzende zu identifizieren und mit dem Ziel zu aktivieren, bei Interesse an einer nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Wälder zweckmäßige Bewirtschaftungseinheiten zu schaffen und die einzelnen Parzellen gemeinsam zu bewirtschaften oder aber auch betreffende Flächen in einem Flächenpool für Wildnisflächen zu binden.


  7. Wie bewertet die Landesregierung das neue Aktionsprogramm „natürlicher Klimaschutz“ der Bundesregierung in dem auch Maßnahmen für die Kohlenstoffspeicherung durch naturnahe Waldflächen/Wildnisflächen aufgeführt werden?

    Antwort: Generell hat das Aktionsprogramm das Ziel, die Kohlendioxidspeicherung durch natürliche Senken zu stabilisieren bzw. zu erweitern. Das ist essenziell, um die geplante Treibhausgasneutralität bis 2045 auf bundesdeutscher Ebene und 2050 auf europäischer Ebene zu erreichen. Gesunde Wälder können große Mengen an Kohlendioxid binden. Daher ist eine Ausdehnung der Waldflächen zu befürworten. Rheinland-Pfalz hat bereits viele naturnahe Wälder; zusätzliche Waldflächen bieten sich in Rheinhessen an. Naturferne Wälder werden im Zuge einer Betreuung durch den Landesbetrieb Landesforsten konsequent in naturnahe Laub- und Mischbestände überführt und somit an die zu erwartenden Klimawandelfolgen angepasst. Der im Aktionsplan betonte Schutz von Böden und eine bodenschonende Bewirtschaftung zur Speicherung von Kohlenstoff sowie als Schutzelement und Lebensraum sind wesentliche Grundsätze für die naturnahe Behandlung der Wälder in RLP. Wildnisentwicklungsflächen können bei einer störungsfreien Entwicklung über eine lange Zeit hinweg als Kohlendioxid-Senke im Wald einen bedeutenden Beitrag zum Kilmaschutz leisten. Das Aktionsprogramm verweist auf das Ziel der EU-Biodiversitätsstrategie, 10% der Land- und Meeresflächen unter strengen Schutz zu stellen. Dabei sind Gebiete, die der natürlichen Dynamik überlassen werde, besonders bedeutend. Das Aktionsprogramm erwähnt im Zusammenhang mit strengem Schutz auch das Ziel, 2% der Landfläche aus der Nutzung zu nehmen. Wegen der kleinteiligen Besitzstruktur in RLP ist dieses Ziel mit den entsprechenden Vorgaben an Mindestgröße von 1000 ha (in Ausnahmefällen auf 500 ha) absehbar nicht zu erreichen.