kleine Anfrage

Besonders geschützte Biotope in den „Uhlerborner Dünen“

Die zahlreichen Biotope der „Uhlerborner Dünen“ und des angrenzenden Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Schutzgebiets „Kalkflugsandgebiet Mainz-Ingelheim“ sowie der angrenzende Lennebergwald sind ein einzigartiger Lebensraum für Flora und Fauna in einem sonst sehr verdichteten Gebiet. In diesem einzigartigen, sensiblen Ökosystem sind mögliche Umwidmungen der Nutzung auch auf angrenzenden Gebieten besonders kritisch zu betrachten. Vor diesem Hintergrund ist auch eine geplante große gewerbliche Reitanlage mitten in diesem Gebiet zu bewerten.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

  1. Wie bewertet die Landesregierung den aktuellen Zustand und das Arteninventar der Biotope hinsichtlich des Biotopschutzes (nach §30 BNatSchG) bzw. des besonderen Artenschutzes (nach §44 BNatSchG) sowie die mögliche weitere ökologische Ent wicklung der „Uhlerborner Dünen“ als Teil eines großräumigen Biotopkomplexes (siehe FFH-6014-302, VSG-6014-401) mit den umliegenden Schutzflächen?

    Antwort: Das ehemalige IBM-Gelände „Uhlerborner Düne“ ist umgeben vom Naturschutzgebiet „Lennebergwald“, dem FFH-Gebiet 6014- 302 „Kalkflugsandgebiet Mainz-Ingelheim“ sowie dem Vogelschutzgebiet 6014-401 „Dünen- und Sandgebiet Mainz-Ingelheim“. Darüber hinaus ist das Gelände selbst Bestandteil des Landschaftsschutzgebiets „Rheinhessisches Rheingebiet“.

    Im Umfeld der Uhlerborner Düne wurden die Lebensraumtypen (LRT) 2330 (Silbergrasrasen auf Binnendünen), die prioritären Lebensraumtypen (LRT) 6120* (Basenreiche Sandrasen) und LRT 6240* (Steppen-Trockenrasen) sowie im unmittelbar östlich angrenzenden Wald der LRT 91U0 (Sarmatische Kiefernwälder) kartiert. Beim Vorkommen des LRT 2330 handelt es sich um die einzigen Bestände im gesamten FFH-Gebiet mit einer Flächengröße von ca. 0,5 ha. Der LRT 91U0 hingegen kommt sogar landes- weit ausschließlich in diesem FFH-Gebiet vor und erreicht dort seine westliche Verbreitungsgrenze. Darüber hinaus besitzen die LRT-Flächen auch Biotopstatus gemäß § 30 BNatSchG bzw. § 15 LNatSchG. Da sich einige der LRT-Flächen aktuell in einem schlechten Erhaltungszustand (C) befinden, ist die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands (B) gemäß FFH-Richtlinie vorgeschrieben.

    Laut Endbericht der floristisch-faunistischen Kartierung zur geplanten Reitanlage ist ein beträchtlicher Flächenanteil des ehe- maligen IBM-Geländes als geschützter Biotoptyp Sandsteppenrasen (yDD5) nach § 30 BNatSchG und § 15 LNatSchG sowie als prioritärer LRT 6120* kartiert, insbesondere im Nordteil des Areals. Hierbei handelt es sich um die endemische Filzscharten-Blau- schillergrasflur (Jurineo-Koelerietum glaucae), eine sehr seltene isolierte Reliktgesellschaft des Postglazials.

    Im Hinblick auf die Arten wurden die prioritäre Sand-Silberscharte (Jurinea cyanoides) und der Neuntöter (Lanius collurio) sowie im angrenzenden Waldbereich Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus) und Mittelspecht (Dendrocopos medius) erfasst, die sowohl den jeweiligen gebietsschutzrechtlichen Bestimmungen (FFH-Gebiet, Vogelschutzgebiet) als auch den besonderen artenschutz- rechtlichen Bestimmungen (nach § 44 BNatSchG) unterliegen. Die hochgradig gefährdete Sand-Silberscharte besitzt in diesem FFH-Gebiet ihr letztes vitales Restvorkommen in Rheinland-Pfalz.

    Das ehemalige IBM-Gelände weist die gleichen Standortvoraussetzungen wie die umgebenden Natura 2000-Flächen auf und bietet daher eine hervorragende Eignung für die Umsetzung der gebietsspezifischen Erhaltungs- und Entwicklungsziele (vgl. 1. LVO zur Änderung der LVO über die Erhaltungsziele in den Natura 2000-Gebieten vom 22. Dezember 2008; GVBl. v. 14. Januar 2009, Nr. 1 S. 4).

    Für die Uhlerborner Düne wird seitens des Natura 2000-Bewirtschaftungsplans in Konkretisierung der Erhaltungsziele die Wie- derherstellung naturnaher Sand- und Steppenrasen sowie von Lebensräumen der Zielarten Wiedehopf, Heidelerche und Sand-Sil- berscharte vorgegeben. Demnach sollen die Sportanlagen rückgebaut und offene Sandflächen (Rohbodenflächen) angelegt werden. Die umgebende Zaunanlage sowie vorhandene Baumbestände und Heckenstreifen sollen dabei erhalten werden, um die Lebens- räume und Nahrungshabitate der Zielvogelarten effektiv vor Störungen zu schützen und zur Beruhigung des Gebiets hinsichtlich Freizeitaktivitäten zu führen.

    Wegen der vielfältigen Nutzungsansprüche und des fortschreitenden Flächenverbrauchs im Raum Mainz-Ingelheim ist das ehemalige IBM-Gelände von seiner Lage inmitten der Natura 2000-Gebiete, von seinem standörtlichen Potenzial und seiner Größe her der einzige Bereich, in dem Wiederherstellungsmaßnahmen in größerem Umfang möglich sind. Aufgrund der Vorkommen von § 30er-Biotopen sowie angrenzender prioritärer LRT und dem daraus resultierenden Aufwertungs- und Entwicklungspotenzial kommt dem ehemaligen IBM-Gelände eine zentrale Rolle bzgl. der Umsetzung der gebietsspezifischen Natura 2000-Erhaltungs- und Entwicklungsziele zu.

  2. Liegen der Landesregierung Stellungnahmen der nachgeordneten Naturschutzbehörden zum genannten Projekt der Reitanlage vor?

    Antwort: Die Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd als Obere Naturschutzbehörde und die Kreisverwaltung Mainz-Bingen als Untere Naturschutzbehörde haben aufgrund der Betroffenheit mehrerer Schutzgebiete und gesetzlich geschützter Biotope ihre naturschutzfachlichen Stellungnahmen bei der Stadt Ingelheim eingereicht. Diese Stellungnahmen liegen dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität vor.

  3. Wenn ja, wie lautet die Einschätzung der naturschutzfachlichen Gegebenheiten zum genannten Projekt vonseiten der Oberen Naturschutzbehörde?

    Antwort: Die Obere Naturschutzbehörde weist darauf hin, dass die Umsetzung des geplanten Reiterhofs das gesamte umliegende Gebiet, auf dem es teilweise einzigarte Flora und Fauna gibt, wahrscheinlich vernichten, zumindest jedoch dauerhaft schädigen würde. Eine im Rahmen der Schutzziele angepasste Entwicklung des ehemaligen IBM-Freizeitgeländes würde eine einmalige Gelegenheit bieten, die Erreichung der Schutzziele der gesamten Region entscheidend voranzubringen, zu festigen und dauerhaft zu erhalten sowie den Verpflichtungen gemäß FFH-Richtlinie nachzukommen

  4. Wenn ja, wie lautet die Einschätzung der naturschutzfachlichen Gegebenheiten zum genannten Projekt vonseiten der Unteren Naturschutzbehörde?

    Antwort: Die Untere Naturschutzbehörde weist die Stadt Ingelheim ausführlich auf auftretende Konflikte mit Naturschutzbelangen hin, die gegen die Realisierung des geplanten Vorhabens sprechen, und schließt sich der Einschätzung der Oberen Naturschutzbehörde, wie in Antwort zu Frage 3 dargestellt, an.

  5. Welche möglichen Belastungen könnten die seltenen Biotoptypen der Halbtrocken- und Steppenrasentypen (besonders geschützte Biotope nach §30 BNatSchG sowie als FFH-Lebensraumtyp) bei einer Umsetzung des Reithofprojekts gefährden, bzw. welche Folgen hätte die mögliche Umsetzung des Projekts auf den besonderen Schutzstatus der Biotope (nach BNatSchG sowie EU FFH-Richtlinie)?

    Antwort: Bautätigkeiten, Neuschaffung von Zuwegungen und der Betrieb eines Reiterhofs würden zu Versiegelung, mechanischer Belastung durch Maschinen, Menschen und Pferde sowie zur Eutrophierung der einzigartigen Fauna und somit schließlich zur Zerstörung von Flächen führen. Durch diese Veränderungen und die Belastung durch menschliche und tierische Störungen, Beweidung und Ausritte ist auch mit einem Verlust der artgeschützten Fauna mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Bei der Schaffung neuer Zuwegungen zu dem Gelände verlaufen die Varianten V.1 und V.3 direkt durch das Naturschutzgebiet (NSG) „Lennebergwald“. Auch bei V.2 (Einrichten einer Abbiegespur auf der L 422) sind die Belange des Naturschutzgebiets aufgrund der erforderlichen Fahrbahnverbreiterung berührt. Entsprechende Veränderungen sind nach den Schutzbestimmungen der NSG-Rechtsverordnung unzulässig.

  6. Wie ist das geplante Projekt aus Sicht des angrenzenden Lennebergwaldes/Forstamts Rheinhessen zu bewerten, bzw. welche erheblichen Störungen für den Wald und das Naherholungsgebiet sind mit der möglichen Umsetzung des Projekts verbunden?

    Antwort: Aufgrund der vergangenen Trockenjahre ist der Lennebergwald extrem geschädigt. Da insbesondere auf den an das Plangebiet angrenzenden Waldflächen enorm starke Waldschäden zu verzeichnen sind, wurden und werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dort verstärkt Wiederbewaldungsmaßnahmen eingeleitet bzw. durchgeführt. Die zu erwartende massive Zunahme des Reitbetriebs im Lennebergwald würde aufgrund des Eintrags von Ausscheidungen der Pferde zu einer ganz erheblichen zusätzlichen Stickstoffanreicherung führen, welche die Flora hin zu stickstoffliebenden Pflanzen verändern könnte. Die Maßnahmen zur Wiederbewaldung und Entwicklung standortangepasster, klimastabiler Trockenwälder würden erschwert durch die Förderung solcher, auch naturschutzfachlich unerwünschter Konkurrenzvegetation wie z. B. Brombeere oder Landreitgras.

    Die Erholungsfunktion des bereits durch hohe Besucherfrequenzen überlasteten Lennebergwalds als einzigem Naherholungswald im Raum Mainz, neben dem Ober-Olmer Wald, würde durch Ausritte der anvisierten 100 Pferde des Reiterhofs erheblich zusätzlich belastet. Es bedürfte eines erweiterten Reitkonzepts. Dagegen werden die Waldbesitzenden im Rahmen des Wiederbewal-dungskonzepts die Dichte der Reitwege deutlich reduzieren.

  7. Welche Auswirkungen sind durch mögliche Ausritte außerhalb der Reitanlage auf die umliegenden Gebiete zu erwarten, bzw. mit welcher Mehrbelastung für die Stadt im Zuge der zusätzlichen Wegeinstandhaltung, Verkehrssicherung und Gefahrenvermeidung (u. a. Konfliktfeld Fußgänger–Pferde, Hunde–Pferde, Auto–Pferde) ist zu rechnen?

    Antwort:
    Durch Bautätigkeit deutliche Zunahme der Flächenversiegelung (u. a. für Stall-, Funktions- und Gastronomiegebäude, Betriebs- wohnungen, Zufahrten, Parkplätze etc.).

    Durch Ausritte in umliegende Gebiete und den Lennebergwald verursachte Störungen der Fauna und Flora.

    Mechanische Belastungen (Trittschäden) der empfindlichen Flora.

    Eutrophierung (Anreicherung von Nährstoffen im Ökosystem) durch Pferdekot und damit Verlust der Flora.

    Höhere Anfälligkeit für Pilzerkrankungen und Insektenbefall der Waldlebensgemeinschaften durch eingebrachten oder an Hufen haftenden Pferdekot nebst Eintrag fremder Arten (Samen im Kot).

    Tierarzneimitteleintrag in Boden und Wasser durch die im Pferdekot enthaltenen Schadstoffe und Abbauprodukte, die nachweislich auch negative Folgen für Insekten und deren Prädatoren nach sich ziehen.

    Insbesondere abends, sowie an Wochenenden und Feiertagen, würde das erhöhte Verkehrsaufkommen zur Reitanlage erhebliche Lärmemissionen verursachen. 

    Die Teilfrage nach der Mehrbelastung für die Stadt Ingelheim für die Schaffung, den Ausbau und Instandhaltung einer Wegeinfrastruktur kann seitens der Landesregierung nicht beantwortet werden.

gemeinsame Anfrage von

 Pia Schellhammer
 Fabian Ehmann
 Andreas Hartenfels